Lebenslage

Übermut.

Ich bin in übermütiger Stimmung, und das trotz dem Dämpfer von Anfang Woche: Die wunderbare, bezahlbare 1-Zimmer-Wohnung mit GARTENSITZPLATZ ging, wer hätte das gedacht, weg wie ein warmes Weggli. Oder auch: Die Ännsche Durchlaucht war mit ihrer „Warten, bis der Betreibungsauszug da ist“-Strategie leider ein paar Umgänge zu lahm.

Doch was solls, weg ist weg, jammern bringt nix, und so ging ich heute das nächste WG-Zimmer begutachten. Ein Zimmer in einer Eigentumswohnung, deren Besitzerin zwei ihrer fünf Zimmer vermietet. Die Besitzerin ist eine Dame um die Mitte 40 und weilt gerade für ein paar Monate in Ecuador. Sie hat ihren Nachbarn Herr Meier, einen rüstigen und vor allem gesprächigen Rentner, engagiert, um zur Wohnung zu schauen, die Post zu bringen und die Pflanzen zu giessen. Heute hatte Herr Meier gleich zwei zusätzliche Aufgaben: Um 13 Uhr zog ein neuer Mitbewohner, ein 26jähriger Franzose, der kein Wort deutsch spricht, ein; Herr Meier nahm sein bestes Französisch hervor und erklärte ihm, „wie das alles hier so funktioniert“, wie er mir versicherte. Ich war Herr Meiers zweiter Zusatzauftrag: Gemächlich führte er mich durch die Wohnung, während er mir aus seinem Leben erzählte und von den Vorzügen dieser Überbauung sowie dem Dorf im allgmeinen schwärmte; Auch für die abwesende Besitzerin der Wohnung fand wr nur lobende Worte: „Sie ist so unkompliziert und bescheiden!“ Letzteres scheint augenfällig: Ihr Zimmer ist kaum grösser als das, das zu vermieten ist, sie hat darin ein kleines Einzelbett, einen Schrank und eine Kommode, that’s it. Für eine Frau Mitte 40, die eine 5.5Zimmerwohnung besitzt, ein wahrlich bescheidener Lebensstil. Herr Meier führt mich rum, öffnet Schränke, betont immer wieder, dass der Franzose nur bis September da wohnt (der Franzose selber verzieht sich bei Herrn Meiers Anblick hurtig in sein Zimmer) und erzählt weiter aus seinem Leben und dem Dorf, auf das er so stolz ist. Er wohne seit 1975 in diesem Block, und er schwärmt von der Ruhe, dem sonnigen Balkon, dem nahen Tennisplatz, den guten ÖV-Verbindungen, dem Altersheim, dem Schwimmbad und den Einkaufsmöglichkeiten. Warum genau das Altersheim ein Qualitätsmerkmal ist, erschliesst sich mir nicht, aber ich sehe ein helles, möbliertes Zimmer für 600.–, eine Küche mit Abwaschmaschine und Glaskeramikherd, einen Balkon mit Sonne und ein freundliches Wohnzimmer. Herr Meier erzählt mir gerade, wie man seiner Meinung nach das Problem lösen könnte, wenn alle drei gleichzeitig ein anderes Programm im TV anschauen möchten („da kann man ja einfach abmachen: Heute bestimmst du, morgen ich, und so weiter“) und versichert, dass er immer erst klingle, bevor er reinkomme, um die Pflanzen zu giessen und zu lüften, und ich denke mir so: Warum nicht? Ein unkompliziertes Zusammenleben, eine Küche, die diesen Namen verdient, vielleicht darf ich sogar den kahlen Balkon etwas begrünen, und ab und zu werde ich von Herrn Meier zugetextet, warum eigentlich nicht? Während Herr Meier mir von seiner verstorbenen Frau und seiner Leidenschaft, dem Lastwagenfahren, erzählt, beschliesse ich, der unbekannten Dame in Ecuador zu schreiben, dass ich einziehen möchte. Und hoffe, dass Herr Meier ein gutes Wort für mich einlegt.

Wieviel Übermut ist da im Spiel? Treffe ich eine absolute Bauch-Entscheidung, ohne gründlich Vor- und Nachteile abzuwägen? Bin ich so hirnrissig, dass ich irgendwo einziehe, ohne die Besitzerin je getroffen zu haben?

Wer weiss.

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2 Kommentare

  • Antworten
    Katharina B.
    11. April 2014 bei 23:10

    Nun, wenn sie im hohen Alter von Mitte Vierzig noch nach Equador verreist, kann sie ja so borniert und unaufgeschlossen nicht sein, die Frau Besitzerin.

    • Antworten
      Änni
      12. April 2014 bei 11:53

      Das „Mitte Vierzig“ ist für mich mit 31 das „Dreissig“ meiner „Anfang Zwanzig“, du hast mich durchschaut 🙂 Egal, Alter hin, Alter her, ich bin gespannt, wie sich das weiter entwickelt.

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